Dyskalkulie: Wenn Zahlen keine Bedeutung haben

Beginnen wir mit einem kurzen Test: Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich nacheinander verschiedenen Zahlen vor. Beginnen Sie bei einer kleineren Zahl und gehen Sie so hoch Sie möchten. Was haben Sie bei den Zahlen vor Ihrem inneren Auge gesehen? Die kleineren Zahlen vermutlich als Würfelbild, die größeren in Bündelungen oder als große Masse. In jedem Fall haben Sie zu jeder Zahl eine Vorstellung und sehen diese vor sich. Menschen mit Dyskalkulie fehlt diese Vorstellung. Für sie hat eine Zahl keine Bedeutung. Sie können sich keine Menge dazu vorstellen und haben deshalb große Schwierigkeiten beim Rechnen.

Dyskalkulie: Was genau ist das?

Die Rechenstörung ist nach dem ICD-10 (Internationales Verzeichnis klassifizierter, psychischer Krankheiten) eine umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten. Unter dem Link https://www.icd-code.de/icd/code/F81.0.html ist als Definition zu lesen:

„Diese Störung besteht in einer umschriebenen Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Defizit betrifft vor allem die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten, wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie, Geometrie oder Differential- und Integralrechnung benötigt werden.“

Da die Störung überwiegend das Erlernen der Grundrechenarten betrifft, zeigt sich die Dyskalkulie meist mit Beginn der Grundschulzeit. Im Vergleich zu den Klassenkameraden können Kinder mit einer Rechenstörung das Rechnen nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten erlernen. Dies liegt daran, dass eine Vorstellung von den Zahlen fehlt. Während Kinder ohne Rechenstörung lernen, Zahlen systematisch einzuordnen und anhand von Bildern und Systemen miteinander zu verrechnen, gelingt dies Kindern mit Dyskalkulie nicht. Erste Anzeichen treten häufig aber bereits im Kindergarten- und Vorschulalter auf.

Mögliche Ursachen der Rechenstörung

Leider konnte die Wissenschaft noch nicht abschließend klären, welche Ursachen eine Dyskalkulie hat. Sie geht aber davon aus, dass multiple Faktoren bei der Entstehung der Rechenstörung eine Rolle spielen. Über verschiedene Studien konnte bereits belegt werden, dass die genetische Veranlagung in jedem Fall eine Rolle spielt. Aus neurobiologischer Sicht findet beim Lösen mathematischer Aufgaben ein Zusammenspiel mehrere Gehirnregionen statt. Dieses neuronale Netzwerk unterschiedlicher Areale scheint bei Menschen mit Dyskalkulie verändert zu sein, sodass der Ablauf beim Rechnen im Gehirn wesentlich erschwert ist. Es kommt zu Problemen beim numerischen Mengenverständnis, der sprachlichen Verarbeitung von Faktenwissen (zum Beispiel beim Einmaleins) und beim Verständnis für Zahlenräume. Auch Schwierigkeiten bei kognitiven Denk- und Wahrnehmungsprozessen können als Ursache der Rechenstörung möglich sein. Dazu zählen Probleme im Arbeitsgedächtnis, bei der Aufmerksamkeit oder Verarbeitungsgeschwindigkeit. Eine Dyskalkulie ist nicht heilbar. Mit einer guten Förderung und Unterstützung kann das Störungsbild aber in den (schulischen) Alltag integriert werden und die Auswirkungen können deutlich minimiert werden. Heute gibt es bereits viele Förderprogramme, die gezielte Fortschritte beim Erlernen der Grundrechenarten ermöglichen.

Eine Dyskalkulie erkennen: typische Anzeichen und Signale

Viele Kinder können bereits im Vorschulalter leichte Rechnungen problemlos lösen. Spätestens in der ersten Klasse steht dann der Zahlenraum bis 20 an. Bei Kindern mit Dyskalkulie zeigen sich recht schnell Probleme beim Erlernen der Zahlen und Grundrechenarten.

Typische Anzeichen und Signale sind:

  • Das grundlegende Verständnis für Mengen und Maße fehlt (zum Beispiel bei Geld, Zeit, Länge).
  • Das Kind hat Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Mengen und Zahlen (größer, kleiner, mehr, weniger, gleich)
  • Das Abzählen von Gegenständen gelingt nicht.
  • Das Würfelbild wird nicht zuverlässig erkannt.
  • Das Benennen und Schreiben von Zahlen bereitet Probleme.
  • Die Geschwindigkeit beim Lösen der Aufgaben ist sehr gering.
  • Es liegt kein Verständnis für die mathematische Logik vor.
  • Eine Zahl kann keiner Menge zugeordnet werden.
  • Die Rechenarten werden verwechselt.
  • Textaufgaben können nicht in Rechenaufgaben übersetzt werden.
  • Das Ablesen der Uhr gelingt nicht oder nur erschwert.
  • Das Kind bleibt hinter den schulischen Erwartungen im Fach Mathematik deutlich zurück.

Zeigt das Kind Anzeichen des Störungsbildes, können Kinder- und Jugendpsychiater eine Diagnose vornehmen. Eltern können sich zunächst auch an die Lehrkraft wenden und zusammen mit der Beratungslehrkraft oder der Schulpsychologin beziehungsweise dem Schulpsychologen das weitere Vorgehen besprechen.

Konsequenzen und Auswirkungen: Wie einschneidend ist das Störungsbild?

Kinder mit einer Rechenstörung quälen sich oft sehr im Fach Mathematik. Da die Grundrechenarten insbesondere in der Grundschule aufeinander aufbauen, zieht sich die Störung durch viele Jahrgangsstufen und sorgt für schulische Frustration beim Rechnen. Hausaufgaben im Rechnen ziehen sich oft über den ganzen Nachmittag und bringen das Kind und die Eltern zum Verzweifeln. In Schulaufgaben und Proben kommt es zu schlechten Schulleistungen und Misserfolgen. Im Gegensatz zur Legasthenie trifft das Störungsbild aber nur die Rechenfähigkeiten und damit fast ausschließlich das Fach Mathematik. In den anderen Schulfächern kann das Kind deshalb viel bessere Leistungen abliefern. Dadurch ist nicht der gesamte Schulalltag von der Störung betroffen und in Deutsch, Heimat- und Sachkunde und den weiteren Fächern kann das Kind mithalten und gute Leistungen erbringen. Allerdings führt das langsame Rechnen häufig zu Hohn und Spott aus der Klasse und im schlimmsten Fall droht sogar Mobbing. Deshalb ist es sehr wichtig, eine Rechenstörung rechtzeitig zu erkennen und mit Förderung und Therapie gegenzusteuern.

Therapie und Förderung: Was können Schule, Eltern und Kind tun?

Bei einer Dyskalkulie-Therapie werden individuelle Lernstrategien entwickelt, die dem Kind helfen, die Grundrechenarten besser zu erlernen. Die Therapie wird häufig auch psychotherapeutisch begleitet, um seelische Auswirkungen möglichst zu vermeiden und die Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls zu unterstützen. Wissenschaftlich fundierte Therapieangebote finden Sie über die Homepage des Bundesverbands für Legasthenie und Dyskalkulie unter https://www.bvl-legasthenie.de/dyskalkulie/therapieansaetze.html.

Die Kosten können unter Umständen vom Jugendamt übernommen werden. Sie als Eltern sollten Ihr Kind in erster Linie dabei unterstützen, trotz der Entwicklungsstörung ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Deshalb ist es wichtig, dass Sie gelassen und ruhig bleiben und trotz aller Förderung und Unterstützung vor allem auch unbeschwerte, schulfreie Zeit ermöglichen, die geprägt ist von Erfolgen und schönen Momenten. Bleiben Sie geduldig und verständnisvoll.

Dabei helfen Ihnen folgende Tipps:

  • Informieren Sie die Schule über die Diagnose und führen Sie ein Gespräch über Nachteilsausgleiche. In vielen Bundesländern erhalten die Kinder Zeitzuschläge bei Proben und Schulaufgaben.
  • Bleiben Sie stets in Kontakt mit der Schule und der Klassenlehrkraft. Tauschen Sie sich über Lernfortschritte aus.
  • Suchen Sie eine spezielle Beratungsstelle für Dyskalkulie auf und lassen Sie sich zu weiteren Fördermöglichkeiten beraten (Lerntherapie, Ergotherapie, Psychotherapie, Erziehungsberatungsstelle)
  • Fördern Sie Ihr Kind und üben Sie mit ihm nach Anleitung durch die Fachkräfte. Übertreiben Sie es aber auch nicht, sondern sorgen Sie für genug Ausgleich zur Schule im Alltag.
  • Sollte die Förderung im häuslichen Umfeld nicht möglich sein (Machtkämpfe, Konflikte, Überforderung), geben Sie diese komplett an die Fachkräfte ab. Eine gute Beziehung zu Ihrem Kind ist wichtig und sollte durch die Förderung nicht zerstört werden.
  • Versuchen Sie für Ihr Kind ein Hobby zu finden, in dem es gut zurechtkommt und Erfolgserlebnisse feiern kann.
  • Seien Sie stolz auf Ihr Kind, egal welche Schulnoten es erhält. Lebensglück und Erfolg hängen nicht nur von einer positiven Schullaufbahn ab. Versuchen Sie immer wieder gemeinsam, die Stärken des Kindes zu sehen und anzuerkennen.
  • Suchen Sie bei Bedarf Kontakt zu anderen betroffenen Eltern und Kindern über eine Selbsthilfegruppe.
  • Nutzen Sie spezielle Lernsoftware, die für Kinder mit Rechenstörung geeignet ist.
  • Informieren Sie sich beim Bundesverband für Dyskalkulie unter https://www.bvl-legasthenie.de/

Ein positiver Ausblick: Die Therapie schlägt an

Kinder, die eine Therapie und Förderung erhalten, erlernen Strategien, die Ihnen helfen, die Grundrechenarten zu beherrschen. Vielleicht gelingt das nie so leichtfertig und mühelos wie ohne Rechenstörung, aber über die Jahre sind meistens deutliche Erfolge zu spüren. Deshalb lohnen sich eine Therapie und eine gezielte Förderung. Da die Dyskalkulie die Grundrechenarten betrifft, werden die Probleme im Verlauf der schulischen Laufbahn nicht größer, sondern eher kleiner. Mit viel Geduld, gezielter Übung und Unterstützung durch Fachkräfte lässt sich also sehr positiv in die schulische Zukunft Ihres Kindes blicken.

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